Von Eugen Ernst, Neu-Anspach

Prof. Dr. Eugen Ernst
Der Autor Prof. Dr. Eugen Ernst ist Humangeograf und war Hochschullehrer u. a. am Institut für Didaktik der Geographie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Einer seiner Forschungsschwerpunkte war die Siedlungsgeografie. Prof. Ernst ist einer der Väter des Freilichtmuseums Hessenpark in Neu-Anspach und hatte dessen Leitung von 1978 bis 1996 inne. Eugen Ernst ist Träger der Verdienstmedaille Hessens, des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens Deutschlands (Bundesverdienstkreuz), des Saalburgpreis, der Martin-Niemöller Medaille und ist Ehrenbürger des Hessenparks.

Unter „Kulturlandschaft“ kann man eine Art Überbau verstehen, welcher der naturgegebenen Landschaft ein von Menschen gemachtes Aussehen verleiht. Die Anfänge der Raumnutzung und damit der beginnenden Raumveränderung führten den Menschen zu seiner Grundversorgung zuerst in die leichter zu besiedelnden, meist fruchtbaren Becken und Senken im Main-Taunus-Vorland, am östlichen Taunusrand, im Usinger und im Limburger Becken, samt Goldenem Grund.

Kulturlandschaft Taunus
Kulturlandschaft Taunus. Blick über die Idsteiner Senke als Teil des „Goldenen Grundes“ mit seinen fruchtbaren Lössböden, den Para-braunerden. ©Alexander Stahr

Die waldreichen Hochflächen des Hintertaunus wurden erst in den großen Rodungsphasen (9. bis 12. Jahrhundert) „kultiviert“. Die hohen Bergrücken behielten ihren Urwaldcharakter stellenweise bis in das bis 13. Jahrhundert. Der primärwirtschaftlich tätige Mensch durchstöberte das Bergland auch nach Erzen (Blei, Silber, Eisen). Vornehmlich an den Bächen legte er Mühlen und Erzschmelzen an. In den Eichen-Buchen-Mischwäldern schwelte er Holz zu Kohle, trieb aber auch das Vieh in die durch den Raubbau der Köhler verwüsteten Allmendflächen. Schon seit dem 17. Jahrhundert führte dies allmählich zur Verheidung der alten Waldgebiete, was bereits Mitte des 18. Jahrhunderts zu Brenn- und Bauholzmangel führte.

Um 1800 musste deshalb eine staatlich geregelte Forstwirtschaft eingeführt und nachhaltig betriebener Nutzwald (meist Nadelholzbestände) angepflanzt werden. Heute bemüht sich die Forstwirtschaft, wieder Mischwälder herzustellen und im Blick auf den Klimawandel sogar ausländisches Gehölz in die Bestände aufzunehmen. Die drei einheitlich bestellten Ackerfluren (Winterfrucht-, Sommerfrucht- und Hackfruchtfeld) bildeten ein je geschlossenes Ganzes. Das heutige Ackerland erscheint trotz der sehr viel größeren Parzellen vielgestaltiger in mehrjähriger Fruchtfolge (Getreide, Hackfrüchte, Futterpflanzen Rapsschläge).

Köhlerei
Die Köhlerei im Taunus führte zum Raubbau an den Wäldern. ©Alexander Stahr

Auch in den Dörfern haben sich tiefgreifende Veränderungen ergeben. Die alten Scheunen und Ställe stehen leer, wurden abgerissen oder zu Wohn-, Werkstatt- und Geschäftsräumen umgebaut. Durch die Dorfstraßen ziehen seit den 1970er Jahren kaum noch Kuh- oder Pferdefuhrwerke. Viele der im gesellschaftlichen Wandlungsprozess übrig gebliebenen Bauernbetriebe verlegten von 1955 bis 1985 ihre Höfe mitten in ihre Wirtschaftsflächen. Manche Höfe haben sich auf den reinen Ackerbau konzentriert oder auf Mutterkuhhaltung. Die meisten der noch vor 50 bis 70 Jahren als progressiv bewerteten Aussiedlerhöfe legten gleichsam eine neue Siedlungsschicht über die Taunuslandschaft, die vorher nie von Einzelhöfen (außer Mühlen) bestimmt war. Viele dieser Betriebe haben sich als Ferien- oder Reiterhöfe erhalten. Die Tendenz einer biologisch bestimmten Agrarwirtschaft nimmt allmählich zu.

Kalksteinwerk
Kalksteinwerk Hahnstätten. ©Alexander Stahr

Aber auch im Blick auf die Sekundärwirtschaft hat sich das Kulturlandschaftsbild nachhaltig verändert. Fast alle kleinen Steinbrüche sind geschlossen, ebenso die Bergwerke auf Eisen, Blei- oder Silbererz. Dagegen blieben nur wenige Großsteinbrüche fortbestehen (Diabas-Brüche im Lahngebiet, Kalksteinbrüche bei Hahnstätten, Quarzit-Abbau im Durchbruchstal des Erlenbach). Anderenorts wachsen Deponieberge in die Höhe. Es sind raumverträgliche Fremdkörper, die eines Tages auch für eine begrenzte Energiegewinnung oder für Fremdenverkehrseinrichtungen nutzbar gemacht werden können. Wo, wie im Main-Taunus-Vorland oder im Hochtaunus die Landwirtschaft von der Sozialbrache bedroht war, konnten regional bedeutende Erholungsparke, der überregional wirksame Freizeitpark Lochmühle und das Hessische Freilichtmuseum Hessenpark eingerichtet werden. Nur wenige der Mühlen haben es zu bedeutenden Nachfolgeunternehmen wie zu Gaststättenbetrieben (Laukenmühle im Wispertal) geschafft oder wurden ausgebaut zu Industrieanlagen wie z. B. das Rolls-Roys-Flugmotorenwerk am Urselbach in Oberursel. Eine gewisse arbeitsplatzausgleichende Wirkung erlangte nach der Stilllegung der Hochöfen die optische Industrie in Wetzlar.

ICE
Bei Niedernhausen nutzt die Schnellbahn Frankfurt-Köln den hier tektonisch abgesenkten Teilabschnitt des Taunuskamms, um bequem das Lahntal bei Limburg zu queren. ©Alexander Stahr

Landschaftsverändernd wirken auch die den tertiären Wirtschaftsbereichen zuzuordnenden Verkehrs- und Handelseinrichtungen. Die A 5 überwindet in sanftem Anstieg den östlichen Taunuskamm. Bei Niedernhausen nutzten sowohl die A 3 als auch die Schnellbahn Frankfurt-Köln den hier tektonisch abgesenkten Teilabschnitt des Taunusrückens, um bequem das Lahntal bei Limburg zu queren. Die Autobahnauffahrten erweisen sich immer häufiger als günstige Standorte für Auslieferungslager oder gar Produktionsstätten und bilden neue siedlungsgeographische Konzentrationspunkte. Mittlerweile sind fast im gesamten ländlichen Raum des Taunus an Klein- und Mittelzentren Gewerbeflächen angesiedelt oder Flächen werden von Supermärkten und Dienstleistungszentren in Anspruch genommen. Größere Industriestandorte befinden sich kaum im zentralen Taunus. Sie entwickelten sich vielmehr an den Rändern zum rhein-mainischen Kernraum (Frankfurt bis Wiesbaden), zum Neuwieder Becken (Koblenz/Lahnstein), zum Gießener Becken und zur Wetterau (Friedberg, Butzbach, Wetzlar).

Marksburg
Die Burgen am Rhein – hier die Marksburg bei Braubach – mit großer territorialpolitischer Vergangenheit erinnern an die Zeit der Minne und der Ritter. ©Alexander Stahr

Die großen kulturlandschaftlichen Eingriffe der Menschen in der Vor- und Frühgeschichte (z.B. Keltenstadt Goldgrube oberhalb der Hohen Mark, Ringwälle des Altkönig) wurden genauso vom Wald zurück erobert wie viele mittelalterliche Orts- und Flurwüstungen. Am ehesten erhalten sind die Anlagen der Römer (Kastell- und Wachtturmreste), die im Limes und in der um 1900-1907 restaurierten Saalburg den Rang als Weltkulturerbe erlangt haben. Die vielen Burgen am Rhein und am südlichen Taunusrand mit großer territorialpolitischer Vergangenheit (Eppstein, Falkenstein, Königstein, Kronberg), aber auch die Burgen an der Lahn und an ihren Seitenbächen erinnern an die Zeit der Minne und der Ritter. Großartige Einblicke in die Welt der frühneuzeitlichen Aristokratie bieten bedeutende Schlösser wie Johannisberg, Biebrich, Bad Homburg, Braunfels und Weilburg.

Zu den herausragenden Schmuckstücken der Klein- und Mittelstädte zählen nicht nur die bekannten Fremdenverkehrsorte im Rheingau von Kiedrich bis Lorch, sondern auch die Fachwerkkleinodien Limburg, Idstein, Camberg oder Butzbach. Der ballneologische Wert der Bäder von Wiesbaden über Schlangenbad und Bad Schwalbach nach Bad Ems sowie die Girlande mineralreicher Quellen in Bad Soden, Cronthal, Bad Homburg und Bad Nauheim sind weltbekannt.

Kloster Eberbach
Kloster Eberbach. ©Alexander Stahr

Zu den wichtigsten Kulturträgern zählen vor allem die Klöster und Kirchen. Alte und neue Kulturzentren dieser Art findet man im Zisterzienseranwesen der Mönche von Eberbach, in St. Hildegardis oberhalb von Rüdesheim, in Arnstein über der Lahn sowie in den zum Teil nur noch in Resten erhaltenen kleinen Klöstern wie Gnadental, Schönau oder beispielsweise Rettershof. Hier entstanden binnenkolonisatorische Vorbilder und künstlerische Leistungen von hohem Rang. Die Vereinigung der lutherischen und reformatorisch-calvinistischen Konfession wurde am 11. August 1817 in der Idsteiner Unionskirche feierlich vollzogen. Siedlungsgeographisch strahlen Wiesbaden, Frankfurt und Gießen weit in den Taunus hinein. Sie förderten erheblich den Strukturwandel des ländlichen Taunus im 20. und 21. Jahrhundert von den kleinbäuerlich zum Teil ärmlichen Dörfchen zu gesellschaftlich und wirtschaftlich aufgewerteten Pendler- und Wohnvorortsgemeinden.

Der neuerdings wieder verstärkt auftretende Siedlungsdruck von Frankfurt und Wiesbaden/Mainz auf den Taunus bedarf nicht nur einer effizienteren infrastrukturellen Raumordnung, sondern auch höchster ökologischer Wachsamkeit. Selbst der sozialpolitisch und ökologisch schützenswerte Hochtaunus und andere herausragende Teile in den drei Naturparken des Taunus scheinen von einer kulturlandschaftlichen Deformierung bedroht. Wer für zivilisatorische Raumbelastung in dem „lebens- und liebenswerten Taunus“ Vorrangflächen ausweist ohne zugleich Schonräume zu benennen, der begünstigt kapitalgesteuerte Übernutzungssysteme, verschleudert identitätsstiftenden Heimatraum.

Literatur

Ernst, E. (2009): Der Taunus – Ein l(i)ebenswertes Mittelgebirge.- 256 S.; Frankfurter Societäts-Druckerei.