Von Alexander Stahr, Taunusstein

Gletscher
Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit bewegten sich gewaltige Gletscher aus Skandinavien in Richtung Nord- und Ostdeutschland. Die Alpen waren von einem Eisstromnetz erfüllt, dessen Zungen weit nach Norden in das Vorland vorstießen. Zwischen den Gletschern im Norden und Süden, dort, wo sich heute auch der Taunus erstreckt, herrschte während des Hochglazials arktisches Tundrenklima. Hier gab es keine Gletscher. ©Alexander Stahr

100.000 b.p. – diese Zahl markiert die Frühphase der letzten Eiszeit (b. p. = before present = vor heute), eine von zahlreichen innerhalb der letzten 2,6 Millionen Jahre im Erdzeitalter (Serie) des Pleistozäns (2,6 Mill. – 11.660 Jahre vor heute). Diese Eiszeit, Würm- oder Weichsel-Eiszeit genannt, währte rund 90.000 Jahre. Vor allem ihre Spuren sind überall im Taunus zu finden.

Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor etwa 25.000-18.000 Jahren, dem so genannten Hochglazial, bewegten sich gewaltige Gletscher aus Skandinavien in Richtung Nord- und Ostdeutschland. Die Alpen waren von einem Eisstromnetz erfüllt, dessen Zungen weit nach Norden in das Vorland vorstießen. Nur die höchsten Alpengipfel ragten als so genannte Nunataker aus den Eismassen heraus.

Zwischen den Gletschern im Norden und Süden, dort, wo sich heute auch der Taunus erstreckt, herrschte während des Hochglazials arktisches Tundrenklima. Hier gab es keine Gletscher. Man spricht auch vom Periglazial (von griechisch peri = um und von lateinisch glacies = Eis). Im Taunus und anderen Mittelgebirgen war es im Hochglazial so kalt, dass der Boden bis in größere Tiefen dauerhaft gefror. Im Juli lagen die Temperaturen durchschnittlich unter 10 Grad Celsius. Heute kennt man dies zum Beispiel aus Sibirien, wo der Untergrund im Gebiet des Polarkreises bis zu 100 Meter tief gefroren ist.

Die letzte Eiszeit folgte einer Warmzeit innerhalb des Pleistozäns, die wesentlich höhere Jahresdurchschnittstemperaturen aufwies als unsere derzeitige, Holozän genannt. Für den nordeuropäischen Raum wird sie als Eem-Warmzeit (benannt nach dem Fluss Eem in den Niederlanden) und für den süddeutschen Raum als Riß-Würm-Interglazial bezeichnet, benannt nach Flüssen des bayerisch-schwäbischen Alpenvorlandes.

Die Tierwelt Mitteleuropas glich in dieser letzten Warmzeit fast derjenigen, wie wir sie heute im trockentropischen Ostafrika oder im tropischen Zentralafrika vorfinden. Zu ihren Vertretern gehörten fossilen Funden zufolge unter anderen der Waldelefant (Elephas antiquus), das Nashorn (Dicerorhinus kirchbergensis), der Auerochse (Bos primigenius), das Flusspferd (Hippopotamus amphibius), der Wasserbüffel (Bubalus murrensis), die Sumpfschildkröte (Mauremys orbicularis), der Höhlenlöwe (Panthera leo spelaea) und die Höhlenhyäne (Crocuta spelaea). Sehr strenge Winter, wie sie in unseren Breiten heute vorkommen können, hätten Flusspferde wohl kaum überstanden, sodass unsere Warmzeit im Vergleich zur vorangegangenen Warmzeit bislang im Grunde genommen zu kalt ist.

Der Bach im Flussbett

Lech
Flüsse in der Arktis, aber auch in wenigen Fällen noch in den Alpen, sind Wildflüsse ohne Regulierung, die ständig ihr Erscheinungsbild durch immer neue Verzweigungen, Kies- und Sandbänke verändern. Ähnlich wie der abgebildete Lech in den Nördlichen Kalkalpen dürften die Bäche im Taunus während der letzten Eiszeit phasenweise ausgesehen haben. ©Alexander Stahr

Zeugnisse des Eiszeitalters im Taunus sind die oft breiten Auen mit einem kleinen Bach. Wie konnten diese kleinen Fließgewässer weite Täler schaffen? Die Antwort ist vielleicht überraschend, aber einfach: Dort, wo heute Bäche fließen, strömten zumindest zeitweilig reißende Flüsse. Flüsse mit vielen Verzweigungen, Kies- und Sandbänken, die ständig ihr Gesicht änderten. Ähnliche Gewässer, man spricht dabei von Breitenverzweigung, finden sich heute zum Beispiel in Alaska oder auf der Inselgruppe Svalbart. In den kurzen Sommern taut der Boden dort nur oberflächlich auf. Vergleichbar war es im eiszeitlichen Taunus. Da Tau- und Niederschlagswasser im gefrorenen Untergrund nicht versickern konnten, strömte zeitweise das gesamte anfallende Wasser zu Tal. Der eiszeitliche Bach wurde dadurch für jeweils kurze Zeit zum reißenden Fluss.

Schleifmittel, um das Tal zu weiten, hatten die Fließgewässer während der Eiszeit ausreichend zur Verfügung. Eine intensive Frostsprengungsverwitterung bei, im Vergleich zu heute, nur spärlicher Vegetation lieferte ihnen viel Schutt zu. Während der Schneeschmelzen strömte Wasser in großen Mengen über dem Dauerfrostboden zu Tal, das Verwitterungsschutt in das Gewässer spülte. Zudem taute der waldfreie Untergrund in den etwas wärmeren Monaten oberflächlich auf. So begann sich das vom Tauwasser durchtränkte Lockermaterial langsam die Hänge hinab zu bewegen. Man bezeichnet diesen Vorgang als Solifluktion, was übersetzt „Bodenfließen“ heißt (von lateinisch solum = Boden und fluere = fließen). Auf diese Weise wurde zusätzlich Schutt zugeführt und die Hänge wurden allmählich abgetragen, was zusammen mit der Erosion durch das Gewässer zur Weitung der Täler führte.

Asymmetrisches Tal im Mittelgebirge
Ein asymmetrisches Tal im Mittelgebirge in der Westwindzone Mitteleuropas (schematisch). ©Alexander Stahr

Täler im Taunus, die ungefähr von Norden nach Süden bzw. von Nordost nach Südwest verlaufen, weisen eine auffällige Asymmetrie ihres Talquerschnittes auf. Der jeweils nach Osten exponierte Hang ist stets weniger stark geneigt als der Gegenhang. Ursache hierfür sind die vorherrschenden Westwinde und die dadurch bedingte Leelage der nach Osten ausgerichteten Hänge. Auf ihnen konnten sich im Windschatten mächtigere Lössablagerungen bilden (die Körnchen dieses Lockermaterials haben Durchmesser zwischen 0,002 und 0,02 Millimeter, sind also sehr klein. Man bezeichnet diese Korngröße auch als Schluff oder Silt) bilden, wodurch die Fließgewässer nach Osten abgedrängt wurden. Daher finden sich auch nur auf den Westhängen größere Kiesablagerungen. Die nach Westen ausgerichteten Hänge wurden schließlich durch Unterschneidung allmählich steiler.

Auch die stärkere Sonneneinstrahlung auf diese Hänge spielte eine gewisse Rolle für die Asymmetrie. Hier konnte die temperaturabhängige Verwitterung der Gesteine vermehrt wirken und den Hang zusätzlich abtragen und steiler werden lassen. Die Asymmetrie der Täler hat entscheidende Auswirkungen auf die Nutzung. Auf den flacheren ostexponierten Hängen entwickelten sich in den tiefgründigeren Lössablagerungen landwirtschaftlich attraktive Böden. Die steileren westexponierten Hänge weisen häufig eine nur flachgründige Bodendecke auf. Auf flacheren Hängen herrscht daher meist Landwirtschaft vor, während auf steileren Osthängen oft der Wald dominiert.

Literatur

Stahr, A. (2011): 100.000 Taunusstein. Eiszeit Landschaft Böden Geschichte.- Heimatkundliche Buchreihe zum östlichen Rheinischen Schiefergebirge; Lahnbrück-Verlag, Weilburg.
Stahr, A. (2014): Die Böden des Taunuskamms. Entwicklung Verbreitung Nutzung Gefährdung.- 64 S.; München.
Stahr, A., & Bender, B. (2007): Der Taunus. Eine Zeitreise. Entstehung und Entwicklung eines Mittelgebirges.- 253 Abb., 253 S.; Stuttgart (Schweizerbart).