Terroir: Kann man den Boden im Wein schmecken?
Unter Weinliebhabern ist der Begriff „Terroir“ sicherlich bekannt. Viele Winzer im Rheingau sprechen beim Ausbau ihrer Weine von Terroir. Der Begriff stammt aus dem Französischen und geht auf das lateinische Wort „terra“ (die Erde) zurück. Unter Terroir versteht man im Agrarbereich (insbesondere beim Wein) die Synthese aus Topographie (Relief, Exposition, Meereshöhe), Klima, Gestein und Boden (Bodentyp, Ausgangsgestein der Bodenbildung, Bodenart, Wasserhaushalt, Düngung), dem regionalem Einfluss (Kultur, Geschichte) sowie kellerwirtschaftlichen Maßnahmen (z. B. Ausbauweise beim Wein). Unter Terroir werden also alle Einflussfaktoren zusammengefasst, die einen landwirtschaftlich genutzten Standort charakterisieren und einen Einfluss auf die Qualität und den Geschmack des jeweiligen Produktes haben.
Nach Sittler (1995) besteht folgender Zusammenhang zwischen Boden und Geschmacksempfinden beim Wein (Sensorik): Tonreiche Böden = Körper, kalkreiche Böden = Weichheit, sandreiche Böden = Säure, Lebendigkeit. Doch kann man tatsächlich den „Boden“ z. B. beim Wein schmecken? Die Antwort auf diese Frage gibt Prof. Dr. Karl-Josef Sabel, der sich am Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie in Wiesbaden u. a. mit Weinbergsböden und dem Thema Terroir befasste.
Kann man verschiedene Böden beim Wein gleicher Rebsorte und gleicher Kellerwirtschaft tatsächlich herausschmecken?
Prof. Sabel: Man kann dies selbstverständlich, da die Pflanze ja vom Terroir beeinflusst wird, das heißt auch von den Bodenverhältnissen. Unter anderem von der mineralischen Matrix der Böden, den Verwitterungsprodukten der Gesteine. Wenn die Kellerwirtschaft weitgehend geschmacksneutral bleibt, dominieren die weinbergsspezifischen Faktoren. Dies konnte in einem Forschungsprojekt der Hochschule Geisenheim, des Weinbauverbandes des Rheingaus und der Hessischen Bergstraße sowie meiner früheren Dienststelle und des Weinbauamtes im wahrsten Sinne des Wortes „geschmeckt“ werden.
Könnte man auch bei anderen landwirtschaftlichen Produkten, so etwa beim Apfelwein oder beim Gemüse bei gleicher Sorte und Anbauweise, den Boden bzw. unterschiedliche Böden schmecken?
Prof. Sabel: Theoretisch ja, da alle Pflanzen mehr oder minder intensiv vom Boden leben. Entscheidend ist, ob und wie die aus dem Boden aufgenommenen Stoffe geschmacksspezifisch im Gewebe eingebaut werden und für uns als Genießer auch identifizierbar sind.
Wirkt sich nicht die Art und Weise der Bewirtschaftung und sie Behandlung des Produktes entscheidender auf den Geschmack eines landwirtschaftlichen Produktes aus als der Boden?
Prof. Sabel: Ja und nein. Auch hier gilt was in der vorigen Frage schon beantwortet wurde. Natürlich kann die Zusammensetzung des Mineralbodens oder das Nährstoffpotential durch die Bewirtschaftung so erheblich verändert werden, dass seine originären Geschmack fördernden Eigenarten sich nicht durchpausen können.
Ist der Begriff „Terroir“ eine beliebte und moderne Marketingmaßnahme oder eher ein „handfester“ und wissenschaftlich gesicherter Qualitätsnachweis eines landwirtschaftlichen Produktes?
Prof. Sabel: Unzweifelhaft ist der Begriff „Terroir“ werbewirksam, assoziiert er doch standortspezifische Weinkultur. Dies ist in vielfacher Hinsicht sehr zweifelhaft; so dominieren in Frankreich, wo der Fachbegriff geboren wurde, die hoch geschätzten Cuvees, die eine Mischung mehrerer Weine gestatten, was in den hiesigen Weinanbaugebieten eher selten ist und weniger hoch geschätzt wird. Wird Terroir auf die geographische Regionalität und auf den Schutz vor allem des Bodens konzentriert, stärkt dies die Individualität des Anbaugebietes, macht den Wein typisch.
Wo sind aus wissenschaftlicher Sicht die Grenzen des Terroirs?
Prof. Sabel: Das Terroir ist streng wissenschaftlich schwer zu definieren, da neben den Klimaverhältnissen, den geowissenschaftlichen Faktoren auch Kultur und Geschichte einfließen. Dies bedeutet, dass die Jahrtausende anhaltende und sich stets verändernde Landnutzung zu berücksichtigen ist, was zu Eingriffen und Veränderungen auf kleinstem Raum führen kann. Gerade der Weinbau hat zu erheblichen Veränderungen der Landschaft beigetragen, es wurden Terrassen angelegt und immer wieder verändert, es setzte wiederholt Bodenabtrag ein, dessen Verluste durch entfernt wieder aufgefangene Bodenmaterialien kompensiert wurden.
Sollte der Boden tatsächlich eine herausragende Bedeutung hinsichtlich des Geschmacks und der Qualität eines landwirtschaftlichen Produktes wie z.B. der Sonderkultur Wein haben, sollte man dies auf dem Produkt an exponierter Stelle vermerken, um diese Tatsache dem Konsumenten als Qualitätsmerkmal zu verdeutlichen?
Prof. Sabel: Im Rahmen des oben zitierten Forschungsprojektes wurde dies gemacht, was einige der teilnehmenden Winzer bis heute beibehalten haben. Dies ist kein Qualitätsmerkmal, sondern ein Identifikationsmerkmal, es unterstützt die Einzigartigkeit eines standortdefinierten Weines. Im Zuge der Globalisierung auch unserer Lebensmittel gewinnt die Regionalisierung an Bedeutung. Dies bedeutet aber auch, dass die Angaben z. B. hinsichtlich des Bodens und seiner Zusammensetzung unbedingt zu überprüfen sind.
Wie beurteilt oder bewertet der Bodenkundler den Terroir-Begriff?
Prof. Sabel: Der Begriff Terroir auf den Boden, die Bodenlandschaft bezogen freut den Bodengeographen, findet er sich doch in seinem fachwissenschaftlichen Terroir wieder, hat sie erbohrt und aufgegraben, beschrieben und beprobt. Daher genießt er als Weintrinker „le gout de la terroir“.
Wenn Boden beim Wein und bei anderen landwirtschaftlichen Produkten tatsächlich „schmeckbar“ ist, welchen Boden würden Sie z. B. beim Wein bevorzugen?
Prof. Sabel: Ich bevorzuge Rigosole (Weinbergsböden) aus schiefrigen Gesteinen des Mittelrheins und der Mosel. Die Weinberge an den steilen Hängen sind karbonatfreie, basenhaltige Trockenstandorte. Ihre Weine besitzen eine typische feine Mineralität.
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